Zukunftsorientierte Führungskräfte-Entwicklung im Krankenhaus

Raus aus dem Seminar – rein in die Alltagspraxis:

Worum es geht:

Führungskräfte-Entwicklung findet zu häufig ausschließlich in Seminaren statt – wenig nachhaltig und mit begrenztem Erfolg. In dem hier dargestellten Qualifizierungsprogramm wird ein Ansatz beschrieben, in dem sich das mittlere Management auf vier unterschiedlichen Ebenen auf die Zukunft vorbereitet und dabei vor allem alltagsnah und projektbezogen lernt. Der Artikel gibt einen anschaulichen Einblick in die Methodik und Architektur des Programms sowie in die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Konzepte.

Führungsalltag

Stationsleitung Franziska Schäfer* ist verzweifelt. Eben gerade haben sich 2 weitere Kolleginnen krankgemeldet und das Wochenende steht kurz vor der Tür. Seit 3 Stunden versucht sie ununterbrochen, Ersatz zu organisieren, aber weder von den Leasing-Agenturen noch von den eh schon überlasteten Kolleginnen aus dem Frei lässt sich so kurzfristig jemand gewinnen. Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass sie selbst wieder einspringen wird, sehr zum Ärger ihrer Familie. Aber aus dem Team muss sie sich eh immer wieder kritische Kommentare anhören, was sie denn den lieben langen Tag so macht, wenn sie im Büro sitzt. Dabei hilft sie am Krankenbett, sooft sie nur kann – leider zu Lasten anderer Führungs- und Managementaufgaben…

Typische Dilemmata als Stationsleitung

Das Dilemma liegt auf der Hand. Stationsleitungen sind häufig einen großen Teil Ihrer Zeit damit beschäftigt, ‚Brände zu löschen‘ und im schlimmsten Fall selbst die personellen Lücken zu füllen, die sich spontan auftun. Die originäre Aufgabe der Leitung, eine Station und ihre Mitarbeiter*innen vorausschauend zu führen und zu organisieren – und dadurch die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern, die Krankheitsquoten zu senken und zeitliche Ressourcen zu sparen – liegt brach. Es bleibt schlicht keine Zeit, Entwicklungs- und Feedbackgespräche zu führen, Schnittstellen mit den Ärzten zu klären oder fehlerbehaftete Abläufe zu verbessern. Der Alltag frisst die Zukunft auf.

Kliniken wählen meist einen der folgenden beiden Wege, um die Situation zu lösen. Ein Ansatz ist es, die Stationsleitungen zu ‚entwickeln‘. Das bedeutet, die Leitungen besuchen Seminare, interne Fortbildungen oder bekommen ein Einzel-Coaching. All dies ist sinnvoll und richtig. Denn ein Teil der Ursache ist, dass pflegerischen Leitungen in der Vergangenheit oft ein sehr begrenztes Verständnis ihrer Führungsrolle vermittelt bekamen. Dadurch fällt es ihnen schwer, sich im Alltag abzugrenzen, die richtigen Prioritäten zu setzten und anstehende Führungsaufgaben auch als solche zu erkennen.

Dennoch greift der Ansatz zu kurz. Denn die strukturellen Ursachen wie z.B. der Personalmangel werden nicht gelöst oder zumindest organisatorisch entschärft. Das Lernen findet häufig ausschließlich im Seminar – wie unter einer Art Käseglocke – statt: außerhalb des Alltags und wenig mit der Praxis verbunden. Darüber hinaus trifft neues Verhalten einzelner Führungskräfte in einem gewachsenen Umfeld oft auf Unverständnis, wenn ein Qualifizierungskonzept nicht auf die Unternehmenskultur als Ganzes einwirkt.

Beim zweiten Ansatz konzentrieren sich Häuser rein auf strukturelle Lösungen. Dazu gehören rollierende Dienstpläne oder die Zusammenlegung von Stationen zu größeren Einheiten. Auch haben zahlreiche Kliniken Ausfallkonzepte entwickelt. Hier stoße ich als Klinik ebenfalls schnell an Grenzen. So scheitern Neuerungen häufig daran, dass die Mitarbeiter*innen nicht richtig ‚mitgenommen‘ werden. Viele Leitungen fühlen sich überfordert, neues Terrain zusammen mit Ihren Teams zu gestalten und dabei eine schlüssige Geschichte zu erzählen, warum das sinnvoll ist.

Qualifizierung im mittleren Management ganzheitlich gestalten

Es stellt sich also die Frage, wie eine ‚Lernreise‘ aussehen kann, die die Kompetenzen der Leitungen und die Strukturen eines Hauses gleichermaßen weiterentwickelt. Eine Reise, bei der die Stationsleitungen die Route mitbestimmen können. Und bei der sie von Anfang an spüren, dass es hier um sie und ihren Alltag geht. Das Institut für Unternehmensgesundheit hat in Kooperation mit einem berliner Akutkrankenhaus ein Qualifizierungsprogramm für das mittlerer Management entwickelt, das versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das Programm läuft über knapp 2 Jahre, ist in 6 Module plus einer vorgeschalteten Kick-Off Veranstaltung unterteilt und wird im Dezember 2021 absolviert sein.

Die Leitziele des Programms orientieren sich wesentlich am Modell der transformationalen Führung (James MacGregor Burns und Bernard M. Bass u.a.), das in seiner weiterentwickelten Form auch im deutschsprachigen Raum gut validiert ist. Es bietet aus Sicht des Autors eine zeitgemäße ‚Leitplanke‘ für die Führungsrolle in einem komplexen und schnelllebigen Umfeld. Positiv wirksam sind demnach Führungskräfte, die Vertrauen stiften und Werte vorleben, ihre Mitarbeiter*innen durch anspruchsvolle Ziele inspirieren, zu selbständigen Problemlösungen anregen und individuell fördern. In diesem Sinne ist auch das Programm so angelegt, dass die Ziele und die zu entwickelnden Kompetenzen mit den Beteiligten gemeinsam weiter herausgearbeitet und präzisiert werden.

Am Anfang steht ein gemeinsamer Blick in die Zukunft

In einem ersten Schritt galt es, mit den Leitungen gemeinsam zu erforschen, welches Selbstverständnis und welche Fähigkeiten benötigt werden, um die Stationen gut ‚in die Zukunft‘ zu führen. In eine Zukunft, die – wie sich nicht erst mit der Pandemie abzeichnet – sehr viel schnelllebiger, unsicherer und komplexer sein wird, als das vergleichsweise ruhige Fahrwasser der Vergangenheit. Dazu erstellten die Teilnehmer*innen ein sogenanntes Zukunftsradar. Bei dieser Methodik geht es darum, alle Zukunftsentwicklungen zu erkennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen großen Einfluss auf die Pflege im Haus haben werden. Anschließend wird ausgearbeitet, wie man diesen Einflüssen am besten begegnen kann und welche Führungskompetenzen dafür benötigt werden.

Hier das Vorgehen an einem Beispiel verdeutlicht. Die Leitungen identifizieren die zunehmende Digitalisierung als wichtigen Zukunftstrend. Um die Digitalisierung im Pflegebereich gut zu bewältigen, ist es wichtig, bei der Einführung entsprechender Projekte frühzeitig die Interessen und Bedarfe der Pflege einfließen zu lassen, auch ältere Mitarbeiter*innen in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu schulen und die Potenziale der ‚digital Natives‘ zu nutzen. Dazu brauchen die Leitungen zukünftig folgende Kompetenzen.

  • Eine Offenheit für Digitale Neuerungen und die Bereitschaft, die eigenen Kenntnisse aktuell zu halten (Digital Readiness).
  • Die Fähigkeit, den digitalen Wandel im Team zu begleiten und Neuerungen einzuführen (Changekompetenz).
  • Die Fähigkeit, Mitarbeitende aus verschiedenen Generationen und mit sehr unterschiedlichen digitalen Kenntnissen zu motivieren und im Team zu integrieren. (Empowerment)

So entstand in der Summe ein Zukunftsprofil für die Leitungen, das gemeinsam erstellt wurde. Entsprechend hoch war die Bereitschaft der beteiligten Leitungen, ‚dem Drachen ins Auge zu schauen‘ und die eigenen Qualifizierungsbedarfe zu erkennen. Zudem hatte der Workshop aufgezeigt, dass diese Art der Beschäftigung mit dem Thema ‚Führen in der Zukunft‘ Spaß und Erkenntnisgewinn miteinander verbindet. Damit waren Lust und Neugier auf die nächsten Schritte geweckt.

Lernen auf 4 Ebenen

Didaktische Studien zeigen, dass berufserfahrene Menschen am besten selbstbestimmt, feedbackgesteuert und projektnah lernen. Die Inhalte und Theorien müssen mit der Praxis verknüpft und nützlich sein, die Angebote vielfältig und alltagsnah. Um diesen Kriterien zu genügen, wurden im weiteren Ablauf 4 Lernebenen miteinander verbunden.

  1. Strategie-Entwicklung:
    Um die Leitungen zu befähigen, über den Rand der eigenen Station zu schauen und die Klinik als Ganzes im Blick zu behalten, werden sie bei übergreifenden Fragestellungen in sogenannten Strategie-Werkstätten intensiv mit eingebunden. Zusammen mit der Pflegedirektion bearbeiten die Leitungen hier zum Beispiel, wie die Einführung eines Rahmendienstplans gestaltet wird oder die Willkommenskultur verbessert werden kann. So können die Stationsleitungen ihr immenses Detail- und Erfahrungswissen aus Ihrem Bereich einbringen und lernen gleichzeitig an konkreten Projekten, strategisch zu planen.
  2. Kompetenz-Entwicklung:
    In Kompetenztrainings steht vor allem das ‚Wie?‘ im Vordergrund. Auf der Ebene der individuellen Fähigkeiten trainieren die Leitungen die im Zukunftsradar herausgearbeiteten ‚Schlüsselkompetenzen‘. Daneben geht es um die Umsetzung der Maßnahmen aus den obigen Werkstätten. Neben dem sich die Leitungen intensiv mit der eigenen Rolle auseinandersetzen, lernen sie hier vor allem hilfreiches Handwerkszeug, um Ihre Mitarbeitenden auf dem Weg in die Zukunft mitzunehmen und auf Augenhöhe zu führen.
  1. Alltagstransfer:
    Durch das sogenannte Aktionslernen wird das Gelernte in die Praxis übertragen. Hier bestimmen die Leitungen selbst eigene Projekte, in denen sie die Inhalte aus den Trainings anwenden und üben. Diese ‚Werkstücke‘ werden gemeinsam mit einem Coach vorbereitet und ausgewertet. Die Themen sind so zu wählen, dass sie für die Leitungen anspruchsvoll und für das Haus nützlich sind sowie für die Mitarbeitenden einen spürbaren Unterschied erzeugen.
  1. Entwicklung der Führungskultur:
    Die Kultur als Summe des Führungsverhaltens und der damit verbundenen -auch ungeschriebenen – Regeln wird bereits vielseitig von oben beschriebenen Schritten beeinflusst. Im Kern zielt das Programm auf kultureller Ebene darauf ab, bei allen Beteiligten eine verhaltenssteuernde ‚gemeinsame Landkarte‘ von guter und wirksamer Führung entstehen zu lassen. Über das Beschriebene hinaus bietet ein monatlich stattfindendes Leitungsmeeting einen wirksamen Hebel, eine neue Kultur vorzuleben. Ein Meeting stellt eine Art Kristllisationspunkt des Miteinanders dar. Es eignet sich daher besonders, um einen neuen Umgang mit Hierarchie, Entscheidungen und Informationsaustausch zu erproben. Einen wichtigen Impuls stellt diesbezüglich die Einführung ‚agiler Formate‘ durch einen Coach dar. Agile Meetings sind auf rasche Entscheidungsfindung, klare Verantwortlichkeiten und schnelle Aktualisierung ausgelegt. Sie fördern zudem eine ‚Speak-Out‘ Kultur, in der sich alle Beteiligten mit ihren eigenen Vorstellungen einbringen.
Die Lernebenen im Überblick
  1. Zukunftsradar:
    – Welche Herausforderungen kommen auf die Pflege zu?
    – Welche Kompetenzen brauchen wir in der Krankenhauswelt von morgen?
    Strategiewerkstätten:
    – kollaborativ Visionen, Ziele und Strategien entwickeln
  2. Kompetenztrainings
    – Schlüsselkompetenzen praxisnah und interaktiv erlernen: Haltung, Methoden und Kommunikation
    – Schwerpunkte werden aus dem Zukunftsradar und den Strategiewerkstätten abgeleitet
  3. Aktionslernen:
    – in begleiteten Projekten Neues erproben
    – für das Team spürbare Veränderungen erzeugen
  4. Agile Meetingformate:
    – neue Kommunikationsformate im Führungsteam erleben
    – im Dialog die Rollen klären
    – Vertrauen und Transparenz leben
Der Lernprozess am Beispiel ‚Willkommenskultur‘

Wie verläuft der hier aufgezeigte Lernprozess in der Praxis? Dazu ein Beispiel: Zu Beginn identifizieren die Leitungen die ‚Willkommenskultur auf den Stationen‘ als ein wichtiges Zukunftsthema. Im nächsten Schritt erarbeiten Sie, was ein Team dazu beitragen kann, dass sich neue Kolleg*innen wohl und willkommen fühlen. In den Kompetenztrainings üben die Leitungen, wie Sie in Ihrer Rolle das Team in diese Richtung entwickeln können.

Als Projekt im ‚Aktionslernen‘ veranstaltet eine Leitung mit ihrem Team einen kurzen Workshop, im dem unter Beteiligung der Mitarbeiter*innen konkrete Schritte und Vereinbarungen dazu in die Wege geleitet werden. Wie beispielsweise empfängt und begleitet das Team neue Kolleg*innen am ersten Tag? Dabei wendet sie das in den Kompetenztrainings erlernte Wissen z.B. über Moderation, Präsentation und den Umgang mit Veränderungen aktiv an. Ein Coach bereitet diese Veranstaltung mit ihr vor und nimmt als Beobachter teil. Anschließend wertet er die Veranstaltung zusammen mit der Leitung aus.

Und dann kam Corona…

Und was ist mit der Corona-Krise und ihren Auswirkungen auf die Klinken? Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade in der Krise das mittlere Management so wichtig ist, wie nie zuvor. Die auftretenden Themen rund um das Krisenmanagement wurden und werden in das Programm eingeflochten. Es zeigt sich, dass die Pandemie bei aller Dramatik auch eine große Chance zum Lernen beinhaltet – und dass es gerade jetzt nötig ist, die Leitungen bei den anfallenden Umbrüchen zu unterstützen. Zudem diente das Programm selbst als Modell für Agilität, in dem es sich schnell und flexibel an die neuen Gegebenheiten angepasst hat.

Zwischenbilanz

Auch wenn ein abschließendes Résumé erst Ende 2021 gezogen werden kann, so kann jetzt schon festgestellt werden, dass das Programm bei den Teilnehmenden auf große Akzeptanz und ausgesprochen positive Resonanz trifft. Nach Angaben der Pflegedirektionen ging nach ca. 6 Monaten Laufzeit ein deutlicher ‚Ruck‘ durch die teilnehmenden Stationsleitungen – sie wurden als proaktiver, lösungsorientierter und in gerade in der Krisenbewältigung als sehr kooperativ und solidarisch untereinander wahrgenommen. Zudem zeigten die Teilnehmenden eine große Bereitschaft, trotz der Krisendynamik Zeit für das gemeinsame Lernen und die damit verbundenen Veranstaltungen zu investieren.

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